Eine Reise in die jüngere amerikanische Industriegeschichte unternimmt man im Pullman National Historical Park in Chicago. Der Park umfasst nicht weniger als die erste planmäßig angelegte Industrieansiedlung Nordamerikas, die Produktionsstätten, Wohngebäude und Freizeiteinrichtungen an einem Ort verband. Das Areal im Süden der Metropole erlaubt mit seinen vielen gut erhaltenen Bauwerken einen authentischen Blick in die Zeit des späten 19. Jahrhunderts, als hier luxuriöse Eisenbahnwagen gefertigt wurden, die den Namen Pullman durch den ganzen Kontinent trugen.

Eines der prominentesten Bauwerke und gewissermaßen das Herzstück des historischen Industrieviertels ist das Pullman Administration Clock Tower Building, der einstige Verwaltungssitz der Waggonfabrik. In dem aufwendig rekonstruierten Backsteingebäude mit dem markanten Uhrenturm ist heute das Besucherzentrum des Nationalparks mit einer kleinen Ausstellung untergebracht. Es ist wie geschaffen als erster Anlaufpunkt, um sich zu orientieren und mehr über die Geschichte dieses Eckpfeilers amerikanischer Industriegeschichte zu erfahren.

Besonders interessant ist das südlich der einstigen Industrieanlagen befindliche Viertel mit seinen Reihenhäusern aus Backstein, in denen seinerzeit Beschäftigte wohnten. Dabei fallen die Villen ins Auge, die dem Management vorbehalten waren, sowie die einfachen Reihenhäuser, die die ruhigen Wohnstraßen säumen, in denen Arbeiter lebten. Zu den prominentesten Bauwerken des Stadtteils zählen das historische Hotel Florence, die Greenstone Church oder der quadratische Marktplatz mit Bogengängen in allen vier Ecken.

Das Pullman-Viertel ist einer der besterhaltenen Stadtteile Chicagos und steht unter Denkmalschutz. Der Nationalpark, übrigens der erste und einzige in Chicago, würdigt nicht nur die historische Bedeutung des innovativen Konzepts einer Werkssiedlung. Die Waggonfabrik spielte auch eine bedeutende Rolle in der Arbeiterbewegung und bei der Entwicklung der Bürgerrechte.

Markante Eckpunkte waren der blutige Pullman-Streik vom 11. Mai 1894, der als bis dato größter Arbeiterprotest in die Geschichte der USA einging und bis zu seiner Niederschlagung rund zweieinhalb Monate andauerte, oder die Gründung der ersten afroamerikanischen Gewerkschaft der Vereinigten Staaten im Jahr 1925.

Dem Gründer der Brotherhood of Sleeping Car Porters Asa Phillip Randolph ging es um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Schlafwagenbegleiter, die die Pullman Company beschäftigte und zu einem beachtlichen Teil dunkler Hautfarbe waren. Eine hierzu im Jahr 1937 erreichte Übereinkunft gilt als Meilenstein in der amerikanischen Bürgerrechtsentwicklung. Zu Ehren Randolphs, seiner Gewerkschaft und der Schlafwagenbegleiter wurde im Norden des Pullman-Viertels das National A. Philip Randolph Pullman Porter Museum eingerichtet.